Global Working Generation

Hugues Rameau
Frankreich

Angeboren oder erworben?

Ist Neugier angeboren oder erworben? Was hat mich dazu motiviert, zum ersten Mal durch die Tür eines Theaters zu gehen? Natürlicher Entdeckungsdrang, oder hatten meine Eltern mir den Anstoß dazu gegeben? Ich kann es wirklich nicht sagen. Jedenfalls kann ich mich noch gut an dieses allererste Mal erinnern, wie ich mit 14 Jahren mit der Eintrittskarte in der Hand das Théâtre des Arts in Rouen betrat, um Madame Butterfly von Puccini zu sehen, wie aufgeregt ich war, als ich den roten Saal betrat, den großen Vorhang erblickte, die Sitze, den ganz eigenen Geruch des Theaters wahrnahm, und vor allem weiß ich noch, wie froh ich war, endlich in die Kultur eintauchen zu können. Endlich würde ich den abstrakten Unterricht im Gymnasium hinter mir lassen und die Welt der großen Gefühle entdecken, das einzig Wahre: das Leben! Ein ganzes Leben lag vor mir, um die Welt zu entdecken, mich von Erfahrungen und Begegnungen bereichern zu lassen. Wie eine Droge breitete die Kultur ihre ganze Vielfalt an Möglichkeiten vor mir aus. Denn natürlich musste ich nach der Oper auch noch die Ballettvorstellungen ausprobieren, das Theater, die Museen… Die schöne Stadt Rouen wurde ganz schnell viel zu klein, um dieser Sucht Genüge zu tun. Ich brauchte die weite Welt, brauchte Reisen, um die in Büchern bewunderten Gemälde leibhaftig zu sehen, um die Aromen der ausländischen Kochkünste in mich aufzunehmen, um zu dem Weltbürger zu werden, als den ich mich in aller Bescheidenheit heute sehe.

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Nach Paris zu ziehen war ein großer Glücksfall in meinem Leben. Mit seinen Toren, die der ganzen Welt offenstehen, ist Paris ein großes, wunderbares Haus, in dem jedes Zimmer so geschichtsträchtig ist, dass es allein verdient hätte, ein ganzes Leben lang erkundet zu werden. Ein weiterer Glücksfall war meine Begegnung mit Maurice de Galvert, einem Journalisten und Freund, der sein Leben der klassischen Musik gewidmet hat und mein Mentor geworden ist. Er hat mich gelehrt, anspruchsvoll zu sein und hart zu arbeiten, aber vor allen Dingen hat er mich gelehrt, dass man nie aufhört zu lernen.

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Wie ein Musiker oder Tänzer habe ich heute das Glück, meine Leidenschaft für die klassische Musik leben zu können. Music & Opera ist ein internationales Unternehmen, das den dreisprachigen Guide „Musik & Oper rund um die Welt“ (Music & Opera around the World, Musique & Opéra autour du monde) mit den Spielplänen der großen Konzertsäle, Opernhäuser, Ballettkompanien und Festivals herausbringt. M&O ist auch eine Website mit einem internationalen Ticketservice, News aus der Welt der Oper, Artikeln, Informationen und vielem mehr. Als künstlerischer Leiter und Journalist habe ich das Glück, dass mein Alltag ein perfektes Beispiel für gelungene Globalisierung ist. Schon meine ersten Reisen führten mich in mythische Konzerthäuser wie die Metropolitan Opera in New York oder den Musikverein in Wien. Heute ist es mir eine Freude, neueröffnete Säle wie die Harpa in Reykjavik zu besuchen. Grandiose Aufführungen zu sehen, den perfekten Klang eines Orchesters zu hören, ist mir ein fast tägliches Vergnügen. Ganz zu schweigen von den Begegnungen mit den Künstlern. Nach einer Aufführung mit ihnen über ihre Arbeit zu sprechen kann einen manchmal ganz prosaisch wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Aber etwa die angenehme Stimme des Choreographen Sidi Larbi Cherkaoui bei den Movimentos von Wolfsburg zu hören, gehört zu den kleinen magischen Momenten, die wie Blue Notes sind, wie die Stille, die das Ende eines Konzertes markiert, aber noch immer Musik ist. Und dann sind da natürlich noch die kleinen amüsanten Momente wie gemeinsam mit Vladimir Ashkenazy die französische Arie der Gräfin aus Tschaikowskis Pique Dame zu singen! Und die Sympathie für junge Künstler wie Chen Reiss oder meinen Freund Fabrice di Falco.

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Der beste Teil meiner Arbeit ist es sicherlich, den Künstlern zu begegnen, mit ihnen zu diskutieren und zu lachen, Konzertsäle zu besuchen, durch die Welt zu reisen… Denn die europäische Kunst par excellence, die klassische Musik, hat die ganze Welt erobert, weil sie zum Erklingen bringt, was im Herzen jedes Menschen wohnt: unsere Gefühle. Auch wenn der Vergleich hinkt, welche Kunst ist einfacher zugänglich als die Musik? Man muss keine Musiklehre studiert haben, um von einer Mozart-Arie oder einem Schubert-Lied davongetragen zu werden. Die klassische Musik ist überall, in den Konzertsälen natürlich, aber auch in Fahrstühlen, TV-Spots, in den Kaufhäusern von Seoul, Berlin oder New York… In aller Demut glaube ich, dass es meine Aufgabe ist, eine Brücke zwischen der Musik und der breiten Öffentlichkeit zu schlagen. Ich bemühe mich um Demokratisierung, denn in meiner Idealwelt sollte niemand Angst haben, einen Konzertsaal zu betreten. Die Klippe, die es zu umschiffen gilt, ist der Glaube, dass die Klassik einer Elite vorbehalten sei, dass nur ältere, vermögende Herren die Freuden der Oper genießen dürften. Aber wenn man sich die Künstler einmal ansieht, diese Helden der Moderne, dann stellt man fest, dass sie aus allen Lebensbereichen und Kontinenten stammen. Ihre gemeinsame, ungestüme Leidenschaft findet in der Jugend der einen kombiniert mit der Erfahrung der anderen ihren Ausdruck. Sie halten unser kulturelles Erbe lebendig, indem sie die Hürde der Zeit niederreißen, denn dank ihnen sind Bachs Partituren Teil unseres Alltags. Wie soll man sie da nicht lieben?

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Es ist die Leidenschaft, die ihr und mein Leben beseelt. Wir bereichern uns durch dieses innere Verlangen, diesen Wissens- und Bildungsdurst. Unser Leben nährt sich aus dieser erworbenen und mit jeder Aufführung vertieften Kultur. Liegt nicht genau da, zwischen dem Angeborenen und dem Erworbenen, die wahre Definition dessen, was uns erst zu Menschen macht?

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Hugues Rameau wurde am 22. Oktober 1967 in Dieppe, Normandie, Frankreich, geboren. Er begann seine Karriere im Cercle Lyrique International und leitete parallel dazu eine Radiosendung über klassische Musik. Er arbeitete für die Künstleragentur IMG Paris und war Projektleiter Carlson Wagon-Lit Travel. Seit dem Jahr 2000 ist er künstlerischer Leiter von Music & Opera www.music-opera.com

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